Optimal gender-specific treatment paths on healthcare multiplex networks
Projektresultate
In vielen Ländern führt die Alterung der Bevölkerung zu einer Zunahme von chronischen Erkrankungen wie Diabetes und Herz- und Kreislauferkrankungen (HKE). Solche Erkrankungen gehen oft mit einer Vielzahl von Vor- und Folgeerkrankungen einher. Viele und insbesondere ältere Personen haben daher mehrere Erkrankungen (Multimorbidität) und müssen viele Therapien bei einer Vielzahl von Gesundheitsdienstleistern in Anspruch nehmen. Ziel dieses Projekts war es unser Verständnis dieser Zusammenhänge mittels datengetriebener, mathematischer Zugänge zu verbessern unter besonderer Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Unterschiede. Solch ein Verständnis ist die Grundlage für zielgerichtete Maßnahmen zur frühzeitigen Identifikation und Verhinderung chronischer Erkrankungen.
Die zentrale Innovation dieses Projekts stellte die Entwicklung eines Formalismus für Netzwerke von Patient:innenpfaden dar, also für typische zeitliche Abfolgen von Spitalsaufenthalten, Arztbesuchen, etc. Auf Basis von umfassenden, bevölkerungsweiten Datensätzen aus dem österreichischen Gesundheitssystem, haben wir Algorithmen entwickelt, um daraus Netzwerke von Behandlungspfaden zu extrahieren und auf geschlechtsspezifische Unterschiede zu untersuchen.
Das Projekt lieferte drei zentrale Resultate. Erstens wurden Netzwerkmodelle entwickelt, die beschreiben, wie sich Multimorbidität über das Leben hinweg entwickelt. Damit konnten kritische Ereignisse identifiziert werden, welche das Risiko, im späteren Leben an HKE zu sterben, deutlich erhöhen. Patienten mit Diabetes entwickeln dabei wesentlich schneller Diabetische Komplikationen, wenn sie an Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen leiden. Depressionen, Rauchen oder Übergewicht beschleunigen diese Entwicklung zusätzlich. Unser Zugang kann damit verwendet werden, um zielgerichtet aus bereits verfügbaren Gesundheitsdaten Personengruppen zu identifizieren, die besonders von Angeboten wie Vorsorgeuntersuchungen und strukturierten Behandlungsprogrammen profitieren können.
Das zweite zentrale Resultat ist eine Methodik zum direkten Vergleich der Entwicklung von Multimorbidität bei Frauen und Männern. Viele HKE treten häufiger bei Männern als bei Frauen auf. Mit unseren Arbeiten konnten wir jedoch für eine Reihe von Erkrankungen (z.B. Herzinfarkt oder koronare Herzkrankheit) zeigen, dass diese bei bestimmten Risikofaktoren wie Rauchen oder Diabetes bei Frauen häufiger als bei Männern auftreten. Diese Resultate betonen die Wichtigkeit von Screenings für HKE bei Frauen sowie die Notwendigkeit, Ärzt:innen auf diese Geschlechtsunterschiede zu sensibilisieren.
Das dritte zentrale Resultat ist eine Netzwerkmodellierung der Inanspruchnahme von Ärzt:innen durch multimorbide Patient:innen vor und nach Spitalsaufenthalten. Dabei konnten wir zeigen, dass Männer ein höheres Risiko für eine neuerliche Hospitalisierung nach einem Spitalaufenthalt aufgrund einer chronischen Erkrankung hatten. Kontakte mit niedergelassenen Ärzt:innen konnten dieses Risiko aber halbieren. Durch die Analyse der Netzwerke von Patientenflüssen zwischen Ärzt:innen konnten Resilienzindikatoren für einzelne medizinische Fachrichtungen und Regionen entwickelt werden.
Mitten in die Laufzeit des Projekts fiel der Ausbruch der SARS-CoV-2 Pandemie. Damit wurden auch Netzwerkmodellierungen von Infektionskrankheiten zu einem dringlichen Thema. Wir entwickelten eine Reihe von Berechnungsmodellen, um die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Reduktion der Infektionsausbreitung zu bewerten. Unsere Studie zur Bewertung der Wirksamkeit von mehr als 6.000 Maßnahmen in 79 Territorien während der ersten Infektionswelle lag gemäß eines Aufmerksamkeitsranking von Altmetric auf Rang 36 aller wissenschaftlicher Publikationen in 2020.